New York im Bayerischen Hof

Well, what’s that? Seit Jahren bietet der Bayerische Hof das beste Jazz-Progamm in München, im Nightclub, vor allem in der Reihe mit Gästen aus New York – wenn nicht gerade Enja Jubiläum feiert. Diesmal eröffnet Cindy Blackman-Santana am Dienstag, 5. November mit ihrem Quartett die Gastspielserie zum Thema Bass & Drums. Doch weder Frau Volkart noch Katarina Ehmki begrüssen die Gäste. Vielleicht sind sie in der Unterfahrt bei David Murray, oder sie schauen sich das Champions League-Spiel im Fernsehen an, wie viele andere auch, denn der Club ist fast leer. Das hat Cindy nicht verdient, die professionell mit der Situation umgeht und dadurch den Schaden begrenzt. Cindy, verheiratet mit dem legendären Carlos Santana, spielt ein Gretsch Set in Sparkle, zwei Hänge- und zwei Standtoms, ein paar Stambul Becken und eine ziemlich schöne Custom Snare. Perfekte Stockhaltung, links zwischen Mittel- und Zeigefinger, die Füsse liegen ganz auf den Pedalen auf, es arbeiten nur die Muskeln, die gefordert sind, leicht und locker. Dafür hat sie einen präzisen, harten Beat, der ihren Rock-Jazz mit Billy Cobham vergleichbar macht. Wie allerdings ein Liner Noter sie mit Tony Williams in einen Topf werfen kann, lässt sich nicht nachvollziehen. Bassist Rashaan Carter und sie tragen die Band, ergänzen ihre Rhythmen gegenseitig und treiben die Musik voran – Aurelien Budynek an der Gitarre und Marc Cary an den Keyboards kommen nur in gelegentlichen Soli zur Geltung. Perfektes Timing, mühelose Stimmungswechel und spektakuläre Soli weisen Cindy Blackman-Santana als Drummerin der Spitzenklasse aus – und als Frau, die eine Geschichte zu erzählen hat. Aber auch wenn alles funktioniert wie ein Uhrwerk, kommt bei dem Publikum nicht die Freude auf, an einem besonderen Ereignis der schöpferischen Jazz-Geschichte teil zu nehmen.

Am Mittwoch, den 6. November steht Drummer Omar Hakim einem vollen Club gegenüber. Sein Set bietet einiges an Komplikationen, wie auch der Roadie immer wieder feststellen muss. Zwei Bass Drums, eine davon hinter den beiden Standtoms versteckt, die andere mit Doppelschlegel auch für den linken Fuss. Links von seinem Hi-Hat hat er eine zweite Snare platziert, drei Hängetoms schliessen sich fast ohne Höhenunterschied an. Schwere, grosse Schüsseln als Hi-hat und die unterschiedlichsten Becken sorgen für differenzierte Klänge. Man möchte Omar die Stöcke richtig in die Hand geben, denn er fasst sie ganz hinten, wo der Hebel am größten ist – und zwar beide gleich – doch man bekommt sie einfach nicht zu fassen. Immer wirbeln sie einen ganzen Klangteppich aus dem Set. Er hat einen stabilen Hocker mitgebracht, der seinem großen, schlanken Körper viel Halt gibt. Den braucht er auch, denn jeder Muskel ist stets in Bewegung. Mit dem Rhythmus, gegen den Rhythmus, die Füße liegen nie auf. Er benutzt dünnere, leichte Stöcke, erreicht aber trotzdem einen perfekten, trockenen Sound, wenn er die Felle in der Mitte erwischt. Er erwischt sie immer da, wo er will. Was bei Cindy gut für ein Solo wäre, ist sein Stand by-Betrieb. Er spielt hunderte von Noten pro Minute und es gelingt mir nicht, alle seine Beats auszuzählen. Das Trio mit Bassist Victor Bailey und Keyboarderin Rachel Z bildet eine ausgeglichene Einheit. Jeder kommt zum Zug und spielt auf gleichem Level, wenn es um Einfallsreichtum, Technik oder solistische Brillianz geht. Der Funke springt über, das Publikum freut sich über eine Spitzenleistung, die bei Omar Hakim aussergewöhnlich, geradezu alltäglich locker gebracht wird. Hier wie da eine Zugabe – doch was für ein Unterschied zwischen den beiden Konzerten!

Rahel Z; Omar Hakim; Victor Bailey

Rahel Z; Omar Hakim; Victor Bailey

Rolling Stones stranded

Sind viel rum gekommen Nr. 1 076die Jungs, na ja, alten Herren. Die Biographien von Keith und Mick, letztere sowohl nach Marc Spitz als auch Philipp Norman, belegen das, ebenso der schöne Bildband von Prestel, 50 Jahre Rolling Stones. Aber hier waren sie noch nicht, zumindest nicht alle: in Lüchow, 13000 Seelen-Städtchen und bekannt für Atommüll-Endlagerung.
Eine ganz andere Art von Endlagerung hat hier der Stones-Fan Uli Schröder begründet. Nämlich das erste (und einzige) Rolling Stones Museum weltweit. Nun fühlen sich die alten Herren selbst noch keineswegs museumsreif.
Ganz im Gegenteil: Für 2014 haben die inzwischen Siebzigjahrigen eine Europatournee geplant, die sich gewaschen haben soll. Was zum Teufel stellt Uli Schröder in den inzwischen neuen Museumsräumen eines früheren Supermarktes denn eigentlich aus? Prunkstück der Sammlung ist ein Snooker Billard Table, den der gute Keith sich angeblich auf jeder Tournee hat nachtragen lassen. Dann folgen reihenweise zweitklassige Gitarren, einem oder mehreren Stones zum Signieren hingehalten. Keine davon haben sie wohl wirklich benutzt. Eine Reihe goldener Schallplatten. Etwas Bühnengarderobe. Merchandising-Artikel aus einem halben Jahrhundert. Zeitgenössische Möbel, die an die schummrig verdunkelten Wohnzimmer der Eltern erinnern, in denen man seine Parties feiern durfte…
Who the Fuck is Mick Jagger? Hier werden wir es nicht erfahren. Hier stehen wir vor Erinnerungsstücken, die einer oder mehreren Generationen Jugend bedeutet haben. Wir waten in dem lebenslang gehorteten Strandgut, das von einer allzu kommerziell gewordenen Popkultur angeschwemmt wurde. Keine Atmosphäre, die sich ebenso zäh gegen die Zumutungen des Altwerdens und seiner Staubschichten auflehnt, wie die groovenden Gruftis selbst, keine Mädchen und keine Drogen.
Stattdessen gibt es die Gelegenheit, Ronnie Wood etwas näher kennen zu lernen. Eine Begegnung der dritten Art, die vielleicht das verstärkte Kitschbedürfnis einiger starverliebter Teenies erfüllen kann: Uli Schröder arbeitet als Galerist und stellt hier die größte Sammlung von Bildern aus, die Ronnie Wood in verschiedenen Techniken und Formaten angefertigt hat.
Lebenden Legenden, deren Verdienst es ist, auf vorbildliche Weise dem Verstaubungsprozess zu trotzen, ein Museum einzurichten, muss wohl eigentlich deren Zielen widersprechen. Aber hier geht es eben weniger um die Rolling Stones, als um die Gischtwelle von Fanartikeln, die auf dem Meer der Begeisterung ans Ufer gespült worden sind. In New York, in London, aber eben auch in Lüchow oder Wanne-Eickel. Hier wird dokumentiert, welche kleinen, unbedeutenden Dinge plötzlich eine große Rolle spielen, wenn der kritische Konsument zum Fan(atiker) wird. Deshalb erinnert das Museum so verdächtig an ein Vereinsheim eines beliebigen Fussballclubs. Mit den Trophäen an der Wand, die vielleicht der Papa oder Großpapa einmal eingesammelt haben…