Die wilde Zeit

Wenn das Kino leer bleibt, weiß man, dass der Film wirklich gut ist. Im Eldorado in der Sonnenstraße war die „freie Platzwahl“ neulich jedenfalls wörtlich zu nehmen, als ich Assayas‘ „Die wilde Zeit“ angesehen habe. Die Entwicklung der Schüler einer Klasse Gymnasiasten am Pariser Stadtrand während der wilden Zeit zu Beginn der siebziger Jahre wird verfolgt – zwischen politischem Aktivismus in extremen und gemäßigt linken Gruppen, künstlerischen Versuchen in Malerei, Literatur, selbstredend auch Film und den Fluchtbewegungen in fernöstliche Gedanken, Religionen und Drogen. Nicht umsonst nennt Assayas Viscontis Ludwig II eines seiner filmischen Vorbilder. Es gelingt ihm ebenso meisterhaft, die Stimmung einer Ära zu zu vermitteln, eine Atmosphäre wieder zu beleben, die man ansonsten in den zeittypischen Werken aufspüren könnte. Die aber sind in ihrer individuellen Experimentierfreudigkeit nicht so verdichtet wie „Die wilde Zeit“. Assayas beschreibt in seinem philosophischen Rückblick, wie ganz beiläufig Lebensentscheidungen fallen – und, wie das Leben zurückschlägt. Das Zitat von Blaise Pascal „Zwischen uns und dem Himmel, der Hölle, dem Nichts, gibt es nichts als das Leben, die zerbrechlichste der Sache der Welt“ steht nicht nur dafür. Es steht als Motto über der liebevollen Art, wie die Kamera mit den authentisch wirkenden Laiendarstellern umgeht und das Drehbuch mit den damals so gegensätzlichen Weltanschauungen. Was bleibt außer Nostalgie? Die Erinnerung daran, wie selbstbewusst diese Generation andere Wege gegangen ist. Wie hoch Kreativität und Spontanität im Kurs standen. Wieviel Aufrichtigkeit möglich war, auf der Suche nach den individuellen Antworten.

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