Ausgeliefert

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„Leute, lasst den Kopf nicht hängen!“ – könnte das die Botschaft sein, die der gekreuzigte Heiland in der Notaufnahme des Krankenhauses den zu seinen Füßen bunt zusammen gewürfelten Leidenden zurufen soll? Trotz Rollstühlen, amputieren Gliedmaßen und Pflegestufen der Versammelten toppte der „Lattengustl“ immer noch alle, wenn es um Befund und Heilprognose ging – keine frohe Botschaft also. Seit einer guten Stunde saß er nun auf einem der gepolsterten Stühle und bediente sich gelegentlich von dem kostenlos bereit gestellten Mineralwasser. Trotz spürbarer Hektik passierte nicht viel. Dann bat ihn eine als Auszubildende gekennzeichnete, goldlockige Engelsgestalt in ein Sprechzimmer und bemühte sich nach Kräften, seine vorsorglich mitgebrachte Krankenhauskarte in ein Lesegerät einzuführen. Erfolglos, wie sich später herausstellte. Anschließend bat sie ihn wieder hinaus: „Sie werden dann aufgerufen.“ Es verging eine weitere Stunde in betriebsamer Geschäftigkeit, die an seiner Situation nichts änderte. Eine Diagnose hatte er sich inzwischen selbst gestellt. Der Arm war mit Sicherheit gebrochen, würde operiert werden müssen.
Dann ging plötzlich alles schnell. Der zuständige Arzt erkannte die dringende Hilfsbedürftigkeit des neuen Patienten auf den ersten Blick, beschränkte sich auf eine kurze Anamnese und kümmerte sich persönlich um sofortige Röntgenaufnahmen. Wenig später wurde er von dem hinzu gekommenen Oberarzt über seine Verletzungen aufgeklärt. „In zehn Minuten werden Sie im Operationssaal erwartet, um den Bruch erst einmal zu fixieren.“ Er genoss das neue Tempo ebenso wie die beruhigende Kompetenz und beantwortete bereitwillig die Fragen der herbei geeilten Anästhesistin. Zügig wurde er in den Operationssaal geschleust, wo sich der vermummte Chefarzt vorstellte. Während er nochmals Art und Umfang des Eingriffs erläuterte, nickte er dem bereit stehenden Kollegen zu: „Sie können.“ Das war seine letzte Wahrnehmung.

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