Ausheilung

Er lachte mehrmals über diesen Witz, obwohl er nicht lachen wollte, vielleicht wegen einer heimlichen Hoffnung, dass sich die Pointe an ihm wiederholen würde, vielleicht wegen des Schauders, der uns bei Blasphemien überkommt. Dann griff er einen Leinenband von einem seiner Lieblingsautoren auf dem Nachttisch. Dort fand er die folgenden Sätze.
Ein gnadenloser Selbstzerstörer wird immer auch ein begnadeter Selbstheiler sein. Weil er fortwährend Versuche anstellt, wie er sich schaden, in letzter Konsequenz vernichten kann, lernt er zugleich, sich selbst immer wieder neu zusammen zu setzen, wieder zu beleben, zu heilen.
In den blassen Betonbauten unserer Massenanstalten machen wir die Selbstzerstörer nach christlichem Vorbild zu Heilsempfängern. Die Heilsempfänger werden mit einem Laserband gekennzeichnet, in dem ihre Individualität verborgen wird, um sie zu einem beliebigen Teil der Heilmassen zu machen, die durch unsere Betonanstalten geschoben werden. Gnadenlose Heilsbringer stehen den Massen begnadeter Heilsempfänger gegenüber.
Eine Ausheilung gelingt hier nur mehr noch dem Selbstheiler; der begnadete Selbstheiler findet gerdezu ideale Bedingungen für seine Ausheilung vor. Wer sich dagegen als Heilsempfänger allein auf die betonenen und metallenen Massenanstalten verlässt, läuft Gefahr, unmerklich in die Mühlen einer fortwährenden, fortgesetzt sich verstärkenden Zerstörung zu geraten.
Nur als Selbstheiler können wir uns eine Ausheilung überhaupt noch vorstellen. Wo wir zu Heilsempfängern geworden sind, haben sich alle Heilsvisionen längst verbraucht. Denn der Kreislauf von Selbstheilung und Selbstzerstörung wälzt sich bereits durch die Jahrhunderte. Ganze Völker von Selbstzerstörern haben eine so gnadenlose, massenhafte Selbstzerstörung herauf geführt, dass die Menschheit in jeder Sekunde von den Bildern des Schreckens gebannt, von den Schmerzschreien der Opfer betäubt und von Katastrophen gelähmt wird.

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