New York im Bayerischen Hof

Well, what’s that? Seit Jahren bietet der Bayerische Hof das beste Jazz-Progamm in München, im Nightclub, vor allem in der Reihe mit Gästen aus New York – wenn nicht gerade Enja Jubiläum feiert. Diesmal eröffnet Cindy Blackman-Santana am Dienstag, 5. November mit ihrem Quartett die Gastspielserie zum Thema Bass & Drums. Doch weder Frau Volkart noch Katarina Ehmki begrüssen die Gäste. Vielleicht sind sie in der Unterfahrt bei David Murray, oder sie schauen sich das Champions League-Spiel im Fernsehen an, wie viele andere auch, denn der Club ist fast leer. Das hat Cindy nicht verdient, die professionell mit der Situation umgeht und dadurch den Schaden begrenzt. Cindy, verheiratet mit dem legendären Carlos Santana, spielt ein Gretsch Set in Sparkle, zwei Hänge- und zwei Standtoms, ein paar Stambul Becken und eine ziemlich schöne Custom Snare. Perfekte Stockhaltung, links zwischen Mittel- und Zeigefinger, die Füsse liegen ganz auf den Pedalen auf, es arbeiten nur die Muskeln, die gefordert sind, leicht und locker. Dafür hat sie einen präzisen, harten Beat, der ihren Rock-Jazz mit Billy Cobham vergleichbar macht. Wie allerdings ein Liner Noter sie mit Tony Williams in einen Topf werfen kann, lässt sich nicht nachvollziehen. Bassist Rashaan Carter und sie tragen die Band, ergänzen ihre Rhythmen gegenseitig und treiben die Musik voran – Aurelien Budynek an der Gitarre und Marc Cary an den Keyboards kommen nur in gelegentlichen Soli zur Geltung. Perfektes Timing, mühelose Stimmungswechel und spektakuläre Soli weisen Cindy Blackman-Santana als Drummerin der Spitzenklasse aus – und als Frau, die eine Geschichte zu erzählen hat. Aber auch wenn alles funktioniert wie ein Uhrwerk, kommt bei dem Publikum nicht die Freude auf, an einem besonderen Ereignis der schöpferischen Jazz-Geschichte teil zu nehmen.

Am Mittwoch, den 6. November steht Drummer Omar Hakim einem vollen Club gegenüber. Sein Set bietet einiges an Komplikationen, wie auch der Roadie immer wieder feststellen muss. Zwei Bass Drums, eine davon hinter den beiden Standtoms versteckt, die andere mit Doppelschlegel auch für den linken Fuss. Links von seinem Hi-Hat hat er eine zweite Snare platziert, drei Hängetoms schliessen sich fast ohne Höhenunterschied an. Schwere, grosse Schüsseln als Hi-hat und die unterschiedlichsten Becken sorgen für differenzierte Klänge. Man möchte Omar die Stöcke richtig in die Hand geben, denn er fasst sie ganz hinten, wo der Hebel am größten ist – und zwar beide gleich – doch man bekommt sie einfach nicht zu fassen. Immer wirbeln sie einen ganzen Klangteppich aus dem Set. Er hat einen stabilen Hocker mitgebracht, der seinem großen, schlanken Körper viel Halt gibt. Den braucht er auch, denn jeder Muskel ist stets in Bewegung. Mit dem Rhythmus, gegen den Rhythmus, die Füße liegen nie auf. Er benutzt dünnere, leichte Stöcke, erreicht aber trotzdem einen perfekten, trockenen Sound, wenn er die Felle in der Mitte erwischt. Er erwischt sie immer da, wo er will. Was bei Cindy gut für ein Solo wäre, ist sein Stand by-Betrieb. Er spielt hunderte von Noten pro Minute und es gelingt mir nicht, alle seine Beats auszuzählen. Das Trio mit Bassist Victor Bailey und Keyboarderin Rachel Z bildet eine ausgeglichene Einheit. Jeder kommt zum Zug und spielt auf gleichem Level, wenn es um Einfallsreichtum, Technik oder solistische Brillianz geht. Der Funke springt über, das Publikum freut sich über eine Spitzenleistung, die bei Omar Hakim aussergewöhnlich, geradezu alltäglich locker gebracht wird. Hier wie da eine Zugabe – doch was für ein Unterschied zwischen den beiden Konzerten!

Rahel Z; Omar Hakim; Victor Bailey

Rahel Z; Omar Hakim; Victor Bailey

Alles, was ist

James Salter ist für mich einer der Großen der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Wenn er ein Buch mit dem Titel „Alles, was ist“ schreibt, dann muss das her. Der philosophische, leicht melancholische Rückblick beginnt mit einem Kapitel Kriegsmarine, in dem Salter seine Vergangenheit als Militärflieger verarbeitet. Die prägende Phase seines Helden steht für Disziplin und Pflichterfüllung, gibt Halt in einem Leben mit vielen Bruchstellen. Die kontinuierliche Karriere eines Lektors und Herausgebers scheint eher alles zu sein, was ist, als die Literatur selbst. Ansonsten sind es Liebesbeziehungen und Häuser, die in der Erinnerung bleiben. Als feinfühliger Beobachter beschreibt Salter mit wenigen Sätzen die komplexen Veränderungen in der Gefühlswelt von Paaren – eine seiner besonderen Vorzüge. Ein weiterer ist sein meisterhafter Umgang mit der Zeit. In seinen Werken wird sie spürbar relativ – Jahre vergehen unmerklich im Flug, Minuten einer Liebesnacht dauern an, klingen nach und prägen ganze Lebensphasen. Er dehnt Momente wie einen Kaugummi und lässt ganze Jahre wie Blasen in wenigen Sätzen zerplatzen. Seine präzise, reine Sprache erleuchtet den Roman wie die Herbstsonne die bereits erstorbene Landschaft und weckt Vergangenes mit philosophischem Gleichmut zum Leben. Orte, Menschen, Feste bleiben als Geschmackserlebnis auf dem Gaumen, als Aura im Raum, perfekt beschrieben als Literatur. Doch alles, was ist?

Haiku just for you

Zitat

Ab heute kriegst Du
Treuweidende Q
Zur Nacht ein Haiku

Eine Sommernacht
Dein schwerer Atem
Flüstert in mein Ohr

Lass Träume blühen
Wo nur Sorgen stehn
Kurz ist der Sommer

Was Liebe zerbrach
In Deinem Garten
Lass Liebe heilen

Ein Hund auf dem Feld
Herz von der Leine
Läuft glücklich zu mir

Die Zeit, die vergeht
Wie im Flug, doch was
Geschehen muss, bleibt

Kleine Rotbarbe
Geburtstagsverschmäht
Trotzdem gegessen

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Dem Fisch sein Trost wär
Es gewesen, wenn er
Von Dir verspesen

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Nein, dem Fische sein
Troste wär geweist,
Wenn er von Dir verspeist

Herbst wirft Masken ab
Identitäten
Wirbeln durch die Luft

Von Illusionen
Bist Du gefangen
Im Rosengarten

Ich bins, der frühling
Ich bring das leben
Euch allen zurück

Feier das Leben
Sagt der Sommer, mit
Nehmen und geben

Euch bring ich Klarheit
Über Werden und
Gehen, sprach der Herbst

Ich, dröhnt der Winter
Bestäube Euch weiss
Mit Kälte und Eis

Schön war ich einmal
Gross, witzig und klug
Bevor ich Dich traf

Wie bin ich wieder
Hässlich und grässlich
Durch Deine Augen

Die Sonnenaugen
Strahlen Dir bei Nacht
Wie Lucas P 100

Gefallener Engel
Wer hat die Flügel
Golden Dir gebrochen?

Ich sehne mich nach
Dir und Du sehnst Dich
Nach Wärme im Haus

Dein Rosenmund
Plappert lang, schweigt nicht
An meinen Lippen

Von holder Zartheit
Möchte ich trinken
Die Dein Herz verströmt

Gesprengte Ketten – The Great Escape

Der 1963 erstaufgeführte amerikanische Spielfilm beruht auf einem Roman von Paul Brickhill, dieser auf historischen Tatsachen: Eine Gruppe alliierter Piloten und Offiziere wird in das als ausbruchssicher geltende Gefangenenlager Stalag III bei Sagan im heutigen Polen verlegt. Bei einem gemeinsam geplanten Ausbruchsversuch können 76 Gefangene entkommen – die übrigen der 250 Verschworenen müssen im Lager zurück bleiben. Bei erbitterten Verfolgungsjagden durch ganz Europa werden alle Ausbrecher bis auf drei wieder gefasst, mindestens 50 von ihnen auf geheimen Führerbefehl sofort erschossen. Bis heute gilt der Film von John Sturges, mit Stars wie Steve McQueen, Robert Attenborough, Charles Bronson, Donald Pleasence, James Garner und James Coburn in den Hauptrollen, als symbolische Darstellung des Freiheitswillens der Demokraten, ungeachtet der Übermacht des Terrors.
Während die Innenaufnahmen in den damals noch jungen Filmstudios der Bavaria entstanden sind, wurden die Aussenaufnahmen der Flucht durch Europa für den Schlussteil des Films im Allgäu gedreht. In Füssen, bei Pfronten, Hopfen am See und bei Schwangau fanden spektakuläre Dreharbeiten mit Beteiligung der einheimischen Bevölkerung statt, an die sich noch heute mancher erinnert. Zum Beispiel daran, wie Steve McQueen auf einer umgebauten Triumph Tiger in einem Stacheldrahtzaun landet.
50 Jahre danach widmet die Stadt Füssen der Erinnerung an den Dreh eine Ausstellung im Museum der Stadt. Dazu beigetragen haben Hobbyforscher aus dem In- und Ausland, mit Leihgaben wie dem Original-Motorrad, mit rührenden Erinnerungsstücken und Autogrammen der Filmschaffenden, mit Detailforschungen oder eben dem Veröffentlichen privater Erinnerungen.
Was geht bei der Eröffnung einer solchen Ausstellung durch den Kopf? Wie sehr hat sich die Welt doch gedreht, in diesen 50 Jahren! Die Amerikaner, freudig begrüßte Freiheitshelden im von Nazis besetzten Europa, haben allen Kredit als Befreier schon lange verspielt. Ihre Freiheit wird mehr und mehr zur Freiheit vom Völkerrecht und der internationalen Staatengemeinschaft. Der kaum noch verhohlene Vormachtsanspruch wird um so unerträglicher, als ebenso bornierte Gegenspieler längst die Bühne verlassen haben. 50 Jahre Weltgeschichte führen, unfassbar für uns Kennedy-begeisterte Nachkriegskinder – von Stalag III bis nach Guantanamo. Schwierig genug, die Idee der Freiheit immer wieder neu zu übersetzen – aber wo geht das leichter, als auf einem Motorrad?TTTriumphTiger

The Making of … „Unbreakable“

Danke für die Gelegenheit, direkt in der Werkstatt verfolgen zu können, wie ein außergewöhnlich aufwändiges Custom Bike entsteht! Die Edelschmiede Thunderbike in Hamminkeln dürfte mit ihrer CAD/CAM gestützten 5-Achs-Simultanbeabeitung Technologieführer in ihrer Branche sein – Preisträger am Faaker See, auf der European Bike Week in Kärnten, Österreich, wurde sie mit der Neuvorstellung von „Unbreakable“ sowieso. In den Kategorien „Best of Show“ und „Best Custom“ konnte das Team aus Hamminkeln punkten. Außerdem gab es den 1. Platz der „Champions Class“ bei der Arneitz Bike Show.
Wenn Thunderbike in Hamminkeln ein neues Bike-Projekt ankündigt, hält die Fachwelt den Atem an: Dazu musste der Cafe Racer „PainTTless“ 2012 nicht erst die Custombike Weltmeisterschaft in Sturgis gewinnen. Eine lange Spur führt über Projekte wie „Build a Billy“, ein innerhalb drei Tagen auf der Messe Custombike vor laufenden Kameras vollendetes Showbike, über den Bobber „Open Mind“ bis zur „Spectacular“: Damit gewann die Edelschmiede um Andreas Bergerforth nicht nur die Europa-Meisterschaft. Der Neueinsteiger punktete gegen die weltweit etablierte Szene mit ihrer in Jahrzehnten gesammelten Erfahrung und holte in Sturgis auf Anhieb einen zweiten Platz. Kein Wunder, dass inzwischen auf jeden Käufer eines Custom Thunderbikes-aus Deutschland einer aus anderen Teilen der Welt kommt – insgesamt jeder zehnte sogar von außerhalb Europas. „Mit unseren rund 20 Custom Bikes pro Jahr bedienen wir ein sehr exklusives Umfeld“, sagt Andreas Bergerforth. „Ausschlaggebend sind das herausragende Design und die hohe Qualität unserer Produkte – damit können wir echte Gegenwerte für Preise zwischen 60.000 und 100.000 Euro liefern.“IMG_6982-komp
Als das Projektbike „Unbreakable“ zur „European Bike Week“ 2013 am Faaker See in Österreich – dem mit rund 70.000 teilnehmenden Motorrädern wohl größten Harley-Treffen Europas – erstmals präsentiert wurde, war es schon verkauft. Die Ideen des Auftraggebers sind in die Konzeptphase eingeflossen, in der vor allem mit technischen Zeichnungen und Scribbles gearbeitet wird. Das Ergebnis hängt im Maßstab 1:1 in der Werkstatt an der Wand. Der mit ausladenden Rundungen im Art Deco Stile gestaltete Cruiser erlaubt eine extrem tiefe Sitzposition. Diese ersten Skizzen werden in Gesprächen zwischen Andreas Bergerforth und dem für die Produktion verantwortlichen Herbert Niehues, anderen Ideengebern, den Kunden und den Zulieferern konkretisiert. „Wir beginnen mit dem Rahmen und den Blechteilen“, erklärt Herbert Niehues. „Da haben wir die längsten Vorlaufzeiten.“ Die Blechteile werden von Hand gedengelt und für die Sonderlackierung zu einem Partner in Kamen geschickt. Für die gesamte Antriebstechnik und Elektronik werden diesmal Originalteile von Harley Davidson verwendet. „Mit Motor, Getriebe, EFI, Keyless-Go, Alarmanlage, Blinkerrückstellung und so weiter montieren wir also bewährte Komponenten, die überall gewartet werden können“, sagt Andreas Bergerforth. Besonders innovativ kommt die neu erfundene Trapezgabel daher: Die kompakte Konstruktion wird über Luftzylinder 80 Millimeter abgesenkt oder angehoben. Wie bei einer Telegabel liegen die Seitenholme unmittelbar am Lenkkopf auf und bilden eine Einheit mit dem Bike. Die Gabel enthält bereits einige der Frästeile, aus denen das das neue Bike zu 80 Prozent besteht – eine besondere Spezialität von Thunderbike: Gabelbrücke, Blinker, Räder, Kühlergrill, Tankdeckel oder Sitz – alle diese Teile werden in der eigenen Werkstatt gefräst. Motor- und Getriebedeckel erhalten die typischen, parallel laufenden Rippen, welche viele der rund 3000 Katalogteile des Hauses prägen. Hier kaufen Biker aus aller Welt die qualitativ und optisch anspruchsvollen Bauteile, um ihre Maschinen edel zu individualisieren.

Trüffelmenü im Canal Grande

Beinahe wäre der Groupon-Gutschein verfallen: Fünfgängiges Trüffelmenü für zwei im Canal Grande, statt 160 nur 80,00 Euro! Die Ursache dafür schreiben wir jetzt mal einer Terminmappe zu, in der bestimmungsgemäß Schriftstücke verschwinden, um kurz vor dem Verfallsdatum überraschend wieder aufzutauchen. Aber wie kann man sich als erfahrener Trüffelesser überhaupt auf ein solches Geschäft einlassen, wo doch einige dünne Scheibchen weniger von der weissen Albatrüffel den gesamten Preisvorteil vernichten könnten?
Ähnliche Schlauheit hatten einmal Freunde bewiesen, als sie wie von mir empfohlen das LaContea in Neive zum Trüffelessen besuchten. Sie ließen den Kellner die Trüffel über ihre Tagliolini hobeln und hobeln, weil sie dachten, so würden sie mehr für’s Geld bekommen. Schlappe 300 Euro kostete das, und sie waren mutig genug, sich bei mir darüber zu beschweren!
Meine beiden Söhne reagierten jedenfalls begeistert, als sie für den Abend spontan zum Menü geladen wurden. Pünktlich um acht Uhr betraten wir das Canal Grande, ein gehobenes italienisches Lokal in München, in der Nähe der Nymphenburger Straße, das Franz Josef Strauß frequentiert haben soll. Nachdem wir an einem hübsch gedeckten Tisch Platz genommen hatten, mussten wir erst einmal unser ,Problem` lösen: Wir hatten einen Gutschein für zwei, waren aber drei. Vorschläge von mir, die einzelnen Gänge aufzuteilen, wurden von den Youngstern ebenso abgelehnt, wie die Zumutung, sich á la Carte ein anderes Gericht zu wählen. Also musste ich ein weiteres Menü bestellen. „Kein Problem“, erklärte der höfliche Ober, als ich ihn auf die 50 Prozent Rabatt ansprach, die der Gutschein gewährte. „Das Menü steht bei uns für 43,50 Euro auf der Karte. Den höheren Preis haben wir nur für Groupon angegeben.“ Er lächelte freundlich.
Perplex durch diesen so freimütig und fröhlich eingestandenen Betrug wählten wir den Hauptgang Fleisch, stießen mit dem im Preis enthaltenen Lugana von Ca‘ dei Frati an und kosteten von dem selbst gebackenen Brot. Die „Trüffel Vorspeise“, welche die vor uns stehende, kleine Menükarte angekündigt hatte, war eine ovale Platte mit italienischen Antipasti, ganz unitalienisch für jeden einzeln portioniert, jeder einzelne ein kleiner Genuss: hervorragend geräucherter Lachs, saftiger Kochschinken, Vitello tonnato von einem guten Stück Fleisch, getrocknete Tomate und gebratene Auberginenscheiben in Öl, Oliven. „Nichts mit Trüffel“, stellte mein älterer Sohn entrüstet fest, während von einem Nebentisch der Duft des Tuber Aestivum Vitt., der italienischen Sommertrüffel in die Nasen zog. Ziemlich viele der Nebentische bekamen den gleichen Service. „Trüffel Vorspeise heisst sie eben, weil sie vor den Trüffeln kommt“, kommentierten wir mit leichter Enttäuschung und stellten ein weiteres Mal fest, dass andere etwas lockerer mit Preis- und Inhaltsangaben umgehen, als wir dies gewohnt waren – diese fürchterlich deutsche Pedanterie!
Schließlich näherte sich auch unserem Tisch der intensive Geruch der wertvollen Knollen. Die Tagliolini standen frisch, perfekt auf den Punkt gekocht, zu einer appetitlichen Kugel gedreht inmitten des mit zerlassener Butter bedeckten Tellers, reich mit Trüffelscheiben gesegnet. Wir waren begeistert.
Auch der nächste Gang, mit Ragout gefüllte Tortellini, führte auf gekonnte Weise vor, was man alles mit den kleinen Knollen anstellen kann, die in manchen Jahrhunderten in reicheren Haushalten wie Maggi verwendet worden sind. Den Fleischgang bildeten zwei Schnitzelchen in Trüffeljus. Die Portion entsprach nicht den Erwartungen, die meine Söhne in den angekündigten Hauptgang gesetzt hatten; insgesamt erinnerte sie mehr an ein schnell produziertes Pensionsessen für die Hausgäste. Doch das weiche Fleisch in Rinderfond, der tatsächlich Trüffelaroma bot, und ausreichend Püree, um den Fond vollständig zu verbrauchen, waren akzeptabel im Rahmen des Menüs. Wir hatten uns als Rotwein dazu einen Primitivo empfehlen lassen, der hervorragend harmonierte und – wie wir anschließend feststellten – richtig günstig war.
Die Nachspeise, oft der kreative Höhepunkt der italienischen Küche, kam als tiefgefrorener Tartufo aus Vanilleeis auf den Teller, der eher einem Kantinenessen einen würdigen Abschluss bereitet haben würde, als unserem Trüffelmenü.

Rolling Stones stranded

Sind viel rum gekommen Nr. 1 076die Jungs, na ja, alten Herren. Die Biographien von Keith und Mick, letztere sowohl nach Marc Spitz als auch Philipp Norman, belegen das, ebenso der schöne Bildband von Prestel, 50 Jahre Rolling Stones. Aber hier waren sie noch nicht, zumindest nicht alle: in Lüchow, 13000 Seelen-Städtchen und bekannt für Atommüll-Endlagerung.
Eine ganz andere Art von Endlagerung hat hier der Stones-Fan Uli Schröder begründet. Nämlich das erste (und einzige) Rolling Stones Museum weltweit. Nun fühlen sich die alten Herren selbst noch keineswegs museumsreif.
Ganz im Gegenteil: Für 2014 haben die inzwischen Siebzigjahrigen eine Europatournee geplant, die sich gewaschen haben soll. Was zum Teufel stellt Uli Schröder in den inzwischen neuen Museumsräumen eines früheren Supermarktes denn eigentlich aus? Prunkstück der Sammlung ist ein Snooker Billard Table, den der gute Keith sich angeblich auf jeder Tournee hat nachtragen lassen. Dann folgen reihenweise zweitklassige Gitarren, einem oder mehreren Stones zum Signieren hingehalten. Keine davon haben sie wohl wirklich benutzt. Eine Reihe goldener Schallplatten. Etwas Bühnengarderobe. Merchandising-Artikel aus einem halben Jahrhundert. Zeitgenössische Möbel, die an die schummrig verdunkelten Wohnzimmer der Eltern erinnern, in denen man seine Parties feiern durfte…
Who the Fuck is Mick Jagger? Hier werden wir es nicht erfahren. Hier stehen wir vor Erinnerungsstücken, die einer oder mehreren Generationen Jugend bedeutet haben. Wir waten in dem lebenslang gehorteten Strandgut, das von einer allzu kommerziell gewordenen Popkultur angeschwemmt wurde. Keine Atmosphäre, die sich ebenso zäh gegen die Zumutungen des Altwerdens und seiner Staubschichten auflehnt, wie die groovenden Gruftis selbst, keine Mädchen und keine Drogen.
Stattdessen gibt es die Gelegenheit, Ronnie Wood etwas näher kennen zu lernen. Eine Begegnung der dritten Art, die vielleicht das verstärkte Kitschbedürfnis einiger starverliebter Teenies erfüllen kann: Uli Schröder arbeitet als Galerist und stellt hier die größte Sammlung von Bildern aus, die Ronnie Wood in verschiedenen Techniken und Formaten angefertigt hat.
Lebenden Legenden, deren Verdienst es ist, auf vorbildliche Weise dem Verstaubungsprozess zu trotzen, ein Museum einzurichten, muss wohl eigentlich deren Zielen widersprechen. Aber hier geht es eben weniger um die Rolling Stones, als um die Gischtwelle von Fanartikeln, die auf dem Meer der Begeisterung ans Ufer gespült worden sind. In New York, in London, aber eben auch in Lüchow oder Wanne-Eickel. Hier wird dokumentiert, welche kleinen, unbedeutenden Dinge plötzlich eine große Rolle spielen, wenn der kritische Konsument zum Fan(atiker) wird. Deshalb erinnert das Museum so verdächtig an ein Vereinsheim eines beliebigen Fussballclubs. Mit den Trophäen an der Wand, die vielleicht der Papa oder Großpapa einmal eingesammelt haben…

Birds Meadow Blues

 

20130825-084236.jpgWalter von der Vogelweide
Singt einen coolen Blues
Für Prinzessin Herzeleide
Einen Liebesgruß.

Herzeleide, Herzeleide,
Bald vereint das Glück uns beide!

Inmitten all der Berge
Steht er wie aus Eis
Viele hundert Jahre
Zu ihrem Lob und Preis

Herzeleide, Herzeleide,
Bald vereint das Glück uns beide!

Er spielt auf seiner Leier
Ein Minnelied zur Huld.
Es braucht ein rechter Freier
Wohl hundert Jahr Geduld!

Herzeleide, Herzeleide,
Bald vereint das Glück uns beide!

 

50 Jahre 911

porsche turbo

Wie schön, dass es immer wieder etwas zu feiern gibt. Heute feiern wir den 50. Geburtstag des 911, jenes legendären Porsches, der immer noch 911 heißen muss, obwohl intern längst viele andere Nummern wie 996, 997 angehängt werden, um die vielen erfolgreichen Baureihen zu unterscheiden. Denn mal ehrlich: In den 50 Jahren haben die ganz schön was geleistet, die Jungs in Weissach vor allem, in der Entwicklungsabteilung.
In einem Alter um die 50 haben Geburtstage zwei Seiten: Einerseits freut man sich über das, was war. Andererseits weiß man, dass nicht allzu viel Besseres nachkommen dürfte.
Das lässt sich ganz gut übertragen, wenn man den 911er genauer betrachtet. Der Sechszylindermotor hat immer mehr Hubraum bekommen, doch lange sind dem Platzhirschen andere davon gefahren, Audis, BMW, um nur auf deutschen Autobahnen zu bleiben. Der Heckmotor mit seinen technischen Grenzen wurde erst durch Allradantrieb wieder konkurrenzfähig gemacht – und wie gut sich mit Mittelmotor fahren lässt, weiß jeder, der das Prestigemodell schon mal gegen einen Boxster S oder Cayman des gleichen Herstellers eingetauscht hat. Super Fahrspaß, preislich für die Hälfte. Aber wir wollen nicht rumnörgeln, sondern feiern. Den 911er im allgemeinen, die drei, die ich schon hatte – und besonders den vierten, den wir freundlicherweise bei Schuttenbach Automobile in Anzing Probe fahren durften – also eigentlich der Autor, denn sein Sohn kam „nur“ als Probebeifahrer infrage.
Der freundliche Verkäufer, den wir dafür fürchteten, dass er zu jedem einzelnen der 50 Jahre etwas zu sagen haben würde, war beschäftigt, das perfekt perlweiß polierte 911er Turbo Cabrio stand bei strahlendem Wetter offen vor dem Eingang bereit, die Formalitäten waren schnell erledigt. Einsteigen, einstellen – wohlfühlen. Die ganze Freude an einer wirklich weichen Volllederausstattung – Schande über die Autoindustrie dafür, dass es solche Worte geben muss – kommt erst auf, wenn sich zwischen Fahrer und Fahrzeug die geradezu erotische Beziehung einstellt, die sich nur mit konsequent ergonomischem Engineering erreichen lässt. Mit anderen Worten: Passt wie ein Hausschlappen. Wogegen sich die Schädeldecke des 189 Zentimeter großen Testers im vergleichsweise probegefahrenen Lamborghini Gallardo gleich mal in den Alcantarahimmel bohrte…
Klar, das Zündschloss ist links vom Lenkrad, schon 50 Jahre lang. Das 2009er Modell hat noch Tiptronic, nur 5 Gänge, keine Doppelkupplung. Die Sportauspuffanlage gibt ein heiseres, aggressives Brüllen von sich, eine gelungene Mischung aus Klangfreude und Altenfreundlichkeit: So ein Gallardo versetzt mit seinem Kriegsgeschrei doch viele, die einen Krieg erlebt haben, in helle Panik.
Schwarzes Leder, weiße Instrumentenblenden, viel Aluminium. Für mich bitte immer Vollausstattung – Luxus ist, dass man nicht weiß, wozu die einzelnen Features gut sind, aber auch nie etwas vermisst. Okay, die Tankanzeige dümpelt im roten Bereich, naja, bei den Benzinpreisen, also laufen wir als erstes Ziel langsam und hart wie ein Brett eine Tanke an, wo wir das Tier mit edelstem Super Plus auffüllen, halbvoll, denn wir haben zwei Stunden Zeit.
Wir fädeln uns bei Vollgas auf die Autobahn, wechseln auf die Überholspur und – das Söhnchen streckt den Daumen hoch – erreichen 305 Stundenkilometer auf dem Digitaltacho, bevor die Autobahn endet, und wir die Gegenrichtung nehmen. Das Einfädeln stellt hier wirklich ganz andere Probleme, als bei anderen Fahrzeugen: Man muss den Gasfuß ruhig halten, um nicht vor Übermut unter einem LKW zu enden. Die Michelin Pneus geben das Gefühl, dass man jeden Millimeter der Spur kontrollieren kann, je schneller, desto besser. Die leichtgängige Lenkung bringt die ersten Punkte zu der Gesamtwertung „perfektes Handling“ ein, das geringe Gewicht von 1600 kg sowie die mit ESP und PSM perfektionierte Allradtechnik den Rest. Ist richtig spaßig, so eine kreisrunde Autobahneinfahrt einmal komplett quer zu nehmen. Keine Spur mehr von dem Gefühl in meinem ersten Elfer, einem 1988er Cabrio, als mich das Heck überholte und das Auto die Dynamik eines Bumerangs entwickelte…
Auf der Landstraße zeigen sich schnell die Grenzen – des Fahrers. Trotz Chiptuning steht die Leistung immer erst eine Sekunde später an, als erwartet. Verantwortlich ist dafür das Turboloch, die Zeit, bis genügend Ladedruck bereitsteht, um den Vergaser voll zu pressen. Damit lernt man nach einiger Zeit umzugehen, wenn man Gasfuß und Schaltpaddeln richtig koordiniert. Momentan bin ich auf großzügiges Verzeihen angewiesen. Und da dieses Fahrzeug ebenso wie eine Harley Davidson eine Alterserscheinung ist, stehen ausreichende Toleranzen selbst für grobe Fehler zur Verfügung.
Mit einfachen Mitteln kann man schöne Effekte erzielen. Bleibt man zum Beispiel mit dem Gaspedal stur am Bodenblech, während man aus dem Stand anfährt, sorgt der Turboschub trotz ESP im zweiten Gang für einen schönen Powerslide – vielleicht bewirkt durch das nachträgliche Chiptuning auf 520 PS.
Überholen wird in diesem Geschoss zum reinen Vergnügen. Präzise Lenkbewegungen, ein stets ausreichender Vortrieb und die Griffigkeit bei jeder Fahrbahnbeschaffenheit geben ein Gefühl von Sicherheit. Rundum hervorragende Sicht sollte ein Cabrio ohnehin bieten. Die herausragende Eigenschaft würde ich „unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ nennen: Es geht einfach alles und alles geht einfach mit diesem Auto.
Der Bordcomputer verrät einen Verbrauch von 12,3 Litern über die gesamte Probefahrt, bei der wir dem Teil nichts geschenkt haben. Der Tank bleibt bei der Abgabe gut gefüllt – deshalb müssen wir den 911er kaufen. Schließlich haben wir nichts zu verschenken.
Der Sechszylinder, hier schließt sich unsere Kreisfahrt, hat seine Aktualität zurück gewonnen. Alle Hersteller betreiben konsequentes Downsizing, verkleinern die Motoren, um Gewicht zu sparen, Umwelt- und Verbrauchsvorgaben besser zu erfüllen. Darin ist Porsche Weltmeister. Lang lebe der 911!

Mittag

Doch bevor er sich noch den zweifellos obszönen Ausführungen in dem sicher auch ihn persönlich nicht schonenden Textdokument widmen konnte, wurde ein Tablett mit Geschirr hereingetragen. „Wo dürfen wir das Mittagessen hinstellen?“, wurde er gefragt. Und auf seine Antwort hin: „Brauchen Sie Hilfe?“ Er verneinte. Es forderte seinen Ehrgeiz heraus, mit einem gesunden Arm und wenigen Fingern auszukommen – außerdem betachtete er dies als Training.
Das Mittagessen bestand regelmäßig aus einer Vorsuppe, einer aus mehreren Vorschlägen auswählbaren Hauptspeise und einem Nachtisch. Dieser Regelmäßigkeit begegnete er mit seinen eigenen Regeln. Die Suppen deckte er nach einem einzigen Versuch nicht einmal mehr auf. Dies mag an dem ungewöhnlich heißen Sommer gelegen haben; oder an seiner Abneigung gegenüber Suppen aus Trockenpulver. Oder aber der eigenartig stärkeschleimigen Konsistenz, der blassen Farbe zu verdanken gewesen sein, die er vorgefunden hatte. Den Teller mit der Hauptspeise deckte er ab und aß die gesamte Portion nacheinander, langsam und mit sichtlicher Befriedigung auf. Der Teller war danach ebenso sauber, wie er ihn seinem Lieblingsitaliener in München regelmäßig zurück in die Küche schickte – als anerkennendes Kompliment an eine liebevoll zubereitete Mahlzeit. Mit der Nachspeise verfuhr er nach Beschaffenheit. Obst verspeiste er in wenigen Bissen. Dosenkompott verschmähte er ebenso wie sahnehaltige Süßspeisen. Damit war dieses Mittagsmahl wie jedes der folgenden abgehandelt.
Er hatte sich Zigarren mitbringen lassen. Mit einer davon in der Hand setzte er sich auf die Bank, welche die kleine, blasse Terasse vor seinem Zimmer möblierte. Er rauchte in langsamen, nachdenklichen Zügen, während die Mittagssonne seinen Schatten an die Rückwand warf. Ohne anzuklopfen hatte Elisabeth sein Krankenzimmer betreten, sein leeres Bett betrachtet und ihn wohl durch das Fenster auf der Terrasse erblickt. Nun stand sie in der Tür, mit ihrem Lächeln, das er so gut kannte. Es spiegelte sowohl ihre Freude über die gelungene Überraschung als auch die freudige Erwartung, dass diese sehr positiv aufgenommen werden würde. Er blieb gleichmütig genug, sich diese Überraschung nicht anmerken zu lassen. Seit er ihre „zweite“ Beziehung vor Monaten beendet hatte, hatten sie keinen Kontakt mehr gehabt. Seinen aufrichtigen Wunsch, doch Freunde zu bleiben, hatte sie klugerweise abgelehnt; bis heute.